Große Pharmahersteller tragen offenbar dazu bei, 
dass gefährliche, multi-resistente Erreger entstehen und sich global 
ausbreiten. Das zeigen Recherchen von NDR, WDR und Süddeutscher 
Zeitung. Die Reporter haben gemeinsam mit einem Infektionsmediziner 
vom Universitätsklinikum Leipzig Proben aus Gewässern rund um 
Pharmafabriken in der indischen Stadt Hyderabad genommen. Dort lassen
laut den Recherchen auch fast alle großen Generika-Hersteller – wie 
Ratiopharm, Hexal oder Stada – Wirkstoffe produzieren.
Extreme Verschmutzung durch Abwässer der Pharma-Industrie
   Die Wissenschaftler und Reporter sind dem Verdacht nachgegangen, 
dass Pharmafabriken große Mengen an Antibiotika illegal entsorgen. 
Die Proben wurden im November 2016 genommen und vom Institut für 
Biomedizinische und Pharmazeutische Forschung (IBMP) in Nürnberg auf 
Rückstände von insgesamt 25 verschiedenen Medikamenten untersucht. 
Die Ergebnisse nähren diesen Verdacht.
   Denn tatsächlich fanden die Wissenschaftler Antibiotika in den 
Gewässern. Die Konzentrationen lagen teils hundertfach oder gar 
mehrere Tausend Mal über vorgeschlagenen Grenzwerten für die 
jeweiligen Substanzen. Der renommierte, schwedische 
Umweltpharmakologe Prof. Joakim Larsson sagt, viele der gemessenen 
Werte seien so hoch, dass es keine andere vernünftige Erklärung dafür
gebe als Industrie-Abwässer.
Antibiotika in der Umwelt sind eine „Zeitbombe“
   Der Leiter des IBMP, Prof. Fritz Sörgel, spricht von einer 
„Zeitbombe“. Denn wenn Antibiotika in die Umwelt gelangen, entwickeln
Bakterien, die dort leben, Abwehrmechanismen gegen die Mittel. Sie 
werden also resistent und breiten sich verstärkt aus, da sie 
gegenüber anderen Bakterien einen Überlebensvorteil haben.
   Es sei noch viel schlimmer als erwartet, sagt Dr. Christoph 
Lübbert. Der Infektionsmediziner vom Universitätsklinikum Leipzig war
mit nach Hyderabad gereist. Im mikrobiologischen Institut seines 
Klinikums wiesen die Forscher in allen Proben gefährliche, 
multi-resistente Erreger nach. Dies sei sehr beängstigend, so Dr. 
Lübbert – auch, weil die Bakterien nicht vor Ort bleiben, sondern 
sich ausbreiten.
Multi-resistente Erreger breiten sich global aus
   Klinikärzte wie Dr. Lübbert berichten von einer zunehmenden Zahl 
an Patienten, die aus anderen Regionen der Welt multi-resistente 
Bakterien mitbringen. Die Erreger können zu Infektionen führen. Auch 
Operationen und Chemotherapien können äußerst gefährlich verlaufen, 
wenn Antibiotika gegen die hoch resistenten Bakterien nicht mehr 
wirken. Die Weltgesundheitsorganisation WHO bezeichnet 
multi-resistente Erreger als eine der größten globalen Bedrohungen. 
Schon jetzt sterben weltweit 700.000 Menschen jedes Jahr an 
Infektionen, bei denen Medikamente versagen.
Pharma-Unternehmen verweisen auf Standards und Kontrollen
   Nach Schätzungen werden mittlerweile mindestens 80 bis 90 Prozent 
aller Antibiotika in China und Indien hergestellt. Nach den 
Recherchen von NDR, WDR und SZ beziehen fast alle großen 
Pharmakonzerne in Deutschland Antibiotika und Pilzmittel aus 
Hyderabad. Aber alle lehnten Interviews zu dem Thema ab.
   Stada sowie Teva als Mutterkonzern von Ratiopharm bestätigten 
schriftlich, dass sie Antibiotika aus der indischen Metropole 
beziehen. Die konkreten Zulieferer nannten sie jedoch nicht. Sandoz, 
das ebenso wie Hexal und 1A Pharma zu Novartis gehört, betreibt noch 
eigene Werke in Österreich und Slowenien. Mehr als 90 Prozent ihrer 
antibiotischen Wirkstoffe kämen von dort, schrieb eine Sprecherin auf
Anfrage. Sie hätten aber selbstverständlich auch andere Lieferanten. 
„Unabhängig davon, wer diese Lieferanten und wo ihre Standorte sind, 
gelten weltweit unsere gleichen Standards“, so Sandoz/Hexal. Auch die
anderen Unternehmen verwiesen auf die geltenden Standards sowie auf 
eigene Kontrollen beziehungsweise auf Inspektionen durch die 
zuständigen Behörden.
Verband kritisiert Preisdruck
   Der Herstellerverband Pro Generika teilte zudem mit, er habe 
bereits vor einigen Monaten öffentlich auf die Abhängigkeit 
Deutschlands hingewiesen, „die durch den sehr hohen Anteil der 
Produktion von antibiotischen Wirkstoffen außerhalb der EU entstanden
ist“, sowie auf die damit verbundenen Risiken. Die Konzerne fordern 
eine Debatte über die geringen Preise für Antibiotika, die teils nur 
bei wenigen Cent pro Tagesdosis lägen. „Bei diesem Preisniveau kann 
die Produktion in Deutschland bzw. der EU nicht kostendeckend 
stattfinden“, schreibt Pro Generika. Der Verband kritisiert die 
Krankenkassen. Diese würden bei Ausschreibungen von Rabattverträgen 
stets nur nach dem niedrigsten Preis gehen. Stattdessen sollten sie 
auch soziale und Umweltaspekte berücksichtigen.
   Die Krankenkassen wehren sich gegen diese Kritik. Sie sind 
gesetzlich dazu verpflichtet, wirtschaftlich zu handeln. Die Barmer, 
als einer der größten Versicherer, schreibt, sie erwarte von ihren 
Vertragspartner – also den Herstellern – dass sie umweltfreundlich 
produzierten. Für die Aufsicht seien die Unternehmen und Behörden 
zuständig. Die Kassen wären dazu überhaupt nicht in der Lage, so die 
Barmer. Sie beurteilt es als „alarmierend, wenn an irgendeiner Stelle
in der Welt Produktionsbedingungen herrschen, die auf mehr oder 
weniger lange Sicht das Problem der Antibiotika-Resistenzen nur noch 
verstärken.“
Umweltbundesamt fordert Verschärfung der EU-Vorschriften
   Das Umweltbundesamt (UBA) fordert eine Erweiterung der 
Vorschriften zur „Guten Herstellungspraxis“ („Good Manufacturing 
Practice“ (GMP)). Diese Richtlinien müssen alle Hersteller von 
Arzneimitteln und Wirkstoffen erfüllen, die nach Europa importieren. 
Ihre Einhaltung wird von europäischen Behörden überwacht, die vor Ort
– etwa in Indien – die Fabriken kontrollieren. Alle paar Monate sind 
auch deutsche GMP-Inspektoren in Hyderabad. Dabei geht es allerdings 
ausschließlich um die Qualität der Arzneimittel und den Schutz der 
EU-Bürger. Umweltaspekte spielen keine Rolle. Die Kontrolleure dürfen
die Entsorgung der Abwässer derzeit gar nicht in Augenschein nehmen. 
Dafür fehlt ihnen die Rechtsgrundlage. Das UBA fordert deshalb, auch 
Umweltkriterien in die GMP-Richtlinien einzubeziehen. Die schwedische
Regierung hat dies bereits vor einigen Jahren vorgeschlagen.
   Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) lehnt eine solche 
Verschärfung der Vorschriften und EU-Kontrollen jedoch ab. Er will 
die GMP-Regularien nicht ändern. Gröhe sagt in der ARD, „mit einem 
erhobenen Zeigefinger“ und der Androhung, die Hersteller vom 
europäischen Markt auszuschließen, werde man das Problem nicht lösen.
Indien und China müssten „ein eigenes Interesse bekommen, die 
Wirksamkeit der medizinischen Versorgung ihrer großen Bevölkerung 
nicht zu gefährden“, so Gröhe.
Indische Hersteller bestreiten Verantwortung
   Die meisten indischen Hersteller reagierten auch auf mehrfache 
schriftliche Anfragen nicht. Nur wenigen Firmen haben geantwortet, 
unter anderem MSN, ein wichtiger Zulieferer deutscher 
Pharma-Unternehmen. In Proben, die in unmittelbarer Nähe zu zwei der 
Fabriken des Unternehmens genommen wurden, fanden die Forscher hohe 
Konzentrationen an Medikamenten. MSN bestreitet dafür verantwortlich 
zu sein und zweifelt die Untersuchungsergebnisse an. Auch andere 
Firmen teilten mit, es sei nicht möglich, dass die gefundenen 
Substanzen aus ihren Werken stammen würden, sie würden keine Abwässer
in die Umwelt lassen.
   Hyderabad selbst preist sich als „Pharma-Hauptstadt Indiens“ mit 
mehr als 200 Produzenten und wirbt in einem Video für den Standort 
mit dem Slogan „Minimum Inspection, Maximum Facilitation“ – „Minimale
Kontrolle, Maximale Förderung“.
   Die Dokumentation Der unsichtbare Feind – Tödliche Supererreger 
aus Pharmafabriken ist am Montag, 8. Mai, ab 22.45 Uhr im Ersten zu 
sehen.
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