Aurelia Stiftung und Deutsche Umwelthilfe (DUH) verurteilen die
Entscheidung der EU-Länder, die „Bee Guidance“ zur Risikobewertung
von Pestizidwirkstoffen abzuschwächen und damit den Interessen der
Pestizidindustrie den Vorrang vor Gemeinwohl und Artenschutz zu
geben.
In der vergangenen Woche haben sich die EU-Länder über die
Revision eines gemeinsamen Leitfadens verständigt, der dazu
beigetragen soll, Bienen und andere bestäubende Insekten besser vor
Pestiziden zu schützen. Der Beschluss, diesen „Bee
Guidance“-Leitfaden noch einmal zu überarbeiten, ist ein deutlicher
Rückschritt für den europäischen Bienen- und Artenschutz.
Die Aurelia Stiftung und die Deutsche Umwelthilfe (DUH)
kritisieren aufs Schärfste, dass die große Mehrheit der EU-Staaten,
darunter nach unseren Informationen auch Deutschland, offenbar dem
Druck der Industrielobby nachgegeben hat. Die im Rahmen der „Bee
Guidance“ von 2013 erarbeiteten und von Aurelia Stiftung und DUH
ausdrücklich begrüßten Standards für eine sachgemäße Risikoprüfung
von Pestiziden werden demnach wieder gekippt.
Alle im Leitfaden vorgeschlagenen und übergangsweise gültigen
Tests, darunter die so wichtigen chronischen Tests an Honigbienen
sowie alle Tests an Wildbienen und Bienenlarven, wurden ersatzlos
gestrichen. Diese Tests waren ein Grund für die Einschränkungen und
das Freilandverbot der drei Neonicotinoide Clothianidin, Imidacloprid
und Thiamethoxam. Da diese Tests nun wieder wegfallen, ist bis auf
Weiteres kein ausreichender Schutz von Bienen und anderen Bestäubern
gewährleistet.
Thomas Radetzki, Vorstand der Aurelia Stiftung: „Die von der
EU-Kommission angeordnete Überarbeitung der Bee Guidance von 2013 ist
ein klarer Versuch, die bisher vorgeschlagenen und sinnvollen
Standards wieder abzuschwächen! Wir plädieren für den Erhalt und
weiteren Ausbau dieser Standards für die Prüfung der
Bienenverträglichkeit von Pestizidwirkstoffen in der EU. Die
schädlichen Effekte der Pestizide auf unsere Bestäuber und
Artenvielfalt werden nur abschätzbar, wenn sie auch bei
repräsentativen Wildbienen untersucht und dezidiert auch die
subletalen Effekte betrachtet werden. Und genau das ist es, was nun
verhindert wird.“
Sascha Müller-Kraenner, Bundesgeschäftsführer der DUH: „Neben der
generellen Reduzierung des Pestizideinsatzes benötigen wir Verbote
für besonders umweltgefährdende Produkte. Deswegen müssen die
europaweiten Regeln für die Zulassung von Pestiziden auf
wissenschaftlicher Grundlage verschärft werden, so dass der Schutz
der biologischen Vielfalt gesichert wird.“
Angesichts der dramatischen Befunde über das weltweite Bienen- und
Artensterben fordern Aurelia Stiftung und DUH die Europäische
Kommission dringend auf, an den sinnvollen Standards der „Bee
Guidance“ von 2013 festzuhalten und diese weiter auszubauen. Die
Tests an Bienenlarven, Wildbienen, Hummeln sowie die Untersuchung der
Tiere bei chronischer Exposition und von subletalen Effekten sind bei
der Risikoprüfung von Wirkstoffen für Pflanzenschutzmittel in Europa
unverzichtbar. Ohne sie werden in den Ländern der EU künftig
hochgefährliche Pestizide angewendet, die unsere Bestäuber und
Insekten unmittelbar gefährden.
Die Forderungen im Überblick
Folgende Punkte müssen schnellstmöglich wieder Teil der Bee
Guidance werden:
– Tests zur Untersuchung von subletalen Effekten an Bienen
– Tests zur Untersuchung der Effekte bei chronischer Exposition an
Bienen, Tests zur Untersuchung von synergistischen Effekten
(Cocktail-Effekte bei der Kombination verschiedener Wirkstoffe)
– Tests zur Untersuchung der Effekte von systemischen Wirkstoffen
bei der Aufnahme über Gutationssaft von Pflanzen
– Alle geforderten Tests müssen an Honigbienen und Wildbienen
(solitär lebende und staatenbildende) sowie an Bienenlarven
stattfinden
– Bei staatenbildenden Bienen müssen künftig auch Tests zur
Untersuchung der Effekte bei verschiedenen Aufgaben
(Nahrungssuche, Ammentätigkeit etc.) und Kasten zu
unterschiedlichen Jahreszeiten stattfinden
Zudem fordern beide Organisationen, dass die Abstimmungsergebnisse
und alle weiteren Unterlagen/Protokolle der SCoPAFF-Sitzung vom 16.
und 17. Juli 2019 offengelegt werden. Schon bei der letzten
Abstimmung über die Bee Guidance hat die Europäische Ombudsfrau Emily
O–Reilly die mangelnde Transparenz der EU-Kommission angemahnt und
die EU-Kommission deutlich dazu aufgefordert, der Öffentlichkeit
Zugang zu den Unterlagen der Sitzung zu geben.
Hintergründe und Vorgeschichte
Seit 2013 liegt mit der „Bee Guidance“ eine von der europäischen
Lebensmittelbehörde EFSA erarbeitete Leitlinie vor, die Prüfstandards
für die Risikobewertung von Pestiziden auf Bienen und andere
Bestäuber definiert. Auf Basis dieser Leitlinie hat die Europäische
Kommission noch im selben Jahr die Anwendung von drei besonders
bienenschädlichen Neonicotinoiden (Imidacloprid, Clothianidin und
Thiamethoxam) eingeschränkt und im Mai 2018 gänzlich für den
Freilandeinsatz verboten.
Der Pestizidhersteller Bayer hat dagegen Klage eingereicht und
versucht aktuell, die Verbote der Neonicotinoide in letzter Instanz
vor dem Europäischen Gerichtshof wieder zu kippen. Die Aurelia
Stiftung ist als Anwältin der Bienen an dem Gerichtsprozess beteiligt
und kämpft weiter für das Neonicotinoid-Verbot sowie für eine
Aufhebung der Zulassung von Glyphosat.
Obwohl das wegweisende Neonicotinoid-Verbot zwar europaweit
Zustimmung fand, lehnen einige EU-Staaten die Anwendung derselben
Prüfstandards auf andere Pestizide ab. Die „Bee Guidance“ von 2013
wurde zwar veröffentlicht, aber nie offiziell verabschiedet und wird
deshalb bisher auch nicht verbindlich angewandt. Daraufhin hat die
EU-Kommission angeordnet, dass die Leitlinien von der EFSA
überarbeitet werden sollen. Wie der nun gefasste Beschluss deutlich
macht, hat dies zu einer deutlichen Verwässerung der Bee Guidance
geführt. Bienenschädliche Pestizide – auch Neonicotinoide – werden
somit weiterhin auf den Markt gelangen können und die Gesundheit und
Artenvielfalt unserer Bestäuber gefährden.
Die Aurelia Stiftung und die Deutsche Umwelthilfe setzen sich
partnerschaftlich für eine konsequente Reduzierung des
landwirtschaftlichen Pestizideinsatzes zum Schutz der Artenvielfalt
und insbesondere der bestäubenden Insekten ein. Gemeinsam haben die
Organisationen eine „Strategie zur Reduzierung von Pestiziden“
erarbeitet und im Frühjahr 2019 bei parlamentarischen Veranstaltungen
in Berlin und Brüssel vorgestellt. Die 32-seitige Studie liefert eine
detaillierte wissenschaftliche Übersicht über die schädlichen Effekte
von chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmitteln – insbesondere auf
die systemrelevanten Bienen – und leitet daraus konkrete
Handlungsempfehlungen für den Gesetzgeber ab.
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